#Klavierspielen macht glücklich #Keyboard ist mehr
Klavierspielen lernen, in zehn Minuten?
Jeder kennt sie, die Tutorials auf YouTube und anderen Plattformen, die versprechen, Dir in weniger als zehn Minuten das Klavierspiel beizubringen, ohne Noten, spielend leicht. Und jeder Klavierlehrer kennt den Satz: „Ich kam in der letzten Woche leider nicht zum Üben, weil...“. Kinder und Jugendliche sind häufig mit dem Schulalltag überfordert, die Freizeit ist knapp und dann soll man auch noch Klavier üben. Ebenso geht es vielen Erwachsenen. Da gibt es berufliche und familiäre Verpflichtungen und vieles mehr. Was liegt also näher, als sich einen bequemen und womöglich noch kostenlosen Weg zu suchen, den stressigen Alltag und das Erlernen eines Instruments unter einen Hut zu bringen? Der Zeitgeist, schnell und ohne Anstrengung zum Ziel gelangen zu wollen, hat schon lange auch in der Musik Einzug gehalten. Genau damit locken viele Tutorials. Der Vorstellung, coole Lieder die man schon immer gerne spielen wollte, schnell und leicht zu erlernen, wohnt ein geradezu magischer Reiz inne. Dagegen ist nichts einzuwenden. Auch aus meiner Sicht nicht, denn spielend lernen ist ein guter Ansatz!
Interessante Zahlen und Fakten und eine einfache Rechnung
Das Problem ist: Der schnelle Erfolg erweist sich als Trugschluss. Für ein einzelnes Stück, das in einem Tutorial vorgestellt wird und das oft nur aus wenigen zerlegten Akkorden besteht, braucht der Schüler im Schnitt einen Monat, um es einigermaßen zu beherrschen. In dieser Zeit wendet er aber ungefähr zehnmal mehr Zeit auf, als ein durchschnittlicher Schüler für das Üben am Instrument aufwendet, wenn er Unterricht nimmt. Letzteres sind, nach meinen Erfahrungswerten, etwa viermal fünfzehn Minuten pro Woche (4x15min/Woche=1Stunde). Wenn ein Schüler Musikunterricht erhält, übt er also ungefähr an 4 Stunden im Monat auf seinem Instrument. Ich spreche hier vom Durchschnittsschüler. Innerhalb dieses Unterrichts erwirbt er die Fähigkeit, die Notenschrift zu lesen und die dabei gewonnenen Erkenntnisse musikalisch umzusetzen. So ist er nach spätestens drei Jahren in der Lage, diverse leichte bis mittelschwere Notenliteratur zu lesen und auf seinem Instrument zu spielen. In diesem Zeitraum hat er ca. 4 Stücke und Etüden pro Monat vom Blatt gespielt, das macht 144 in drei Jahren. Im Vergleich dazu übt der Tutorialschüler mit Hilfe eines Tutorials fünf mal zwei Stunden pro Woche (5x2h/Woche=10h) und kommt in drei Jahren rechnerisch auf 36 Stücke. Aber nun kommt der entscheidende Aspekt: Am Ende dieser drei Jahre kann der Tutorialschüler noch immer keine Noten lesen und er hat sich musikalisch kaum weiterentwickelt, weil er nur Vorverdautes wiederkäut.
Klavierunterricht vs.Tutorial
Klavierschüler (konventioneller Unterricht)
Wöchentliche Übungszeit - 4x15 min=1 Stunde
Monatliche Übungszeit - 4 Stunden
Jährliche Übungszeit - 48 Stunden (2 Tage)
Übungszeit nach 3 Jahren - 144 Stunden (6 Tage)
Gespielte Stücke nach 3 Jahren - 144
Tutorialschüler
Wöchentliche Übungszeit - 5x2 Stunden=10 Stunden
Monatliche Übungszeit - 40 Stunden
Jährliche Übungszeit - 480 Stunden (20 Tage)
Übungszeit nach 3 Jahren - 1440 Stunden (60 Tage=2 Monate)
Gespielte Stücke nach 3 Jahren - 36
Ich berufe mich hier auf die Angaben meiner Schüler und deren Eltern, aus Befragungen der letzten vier Jahre (Stand, Mai 2021).
Lieblingslied - spielend leicht!
Hier siehst Du, was nach drei Jahren Musikunterricht geht!
Rechenbeispiel mit 4x30 min/Woche Übungszeit
Woche: 2 Stunden
Monat: 8 Stunden
Jahr: 96 Stunden (4Tage)
3 Jahre: 288 Stunden (12 Tage)
Stücke: Ca. 200
Der Schüler lernt in dieser Zeit vielleicht 200 Stücke, in einem mittleren und höherem Schwierigkeitsgrad. Aus praktisch allen Genres. Nebenbei könnte dieser Schüler bereits improvisieren, sich selbst oder andere beim Singen begleiten und in einer Band oder einem Ensemble, gemeinsam mit Freunden oder Gleichgesinnten, „richtig Musik machen“.
Woher ich das weiß? Das sind die Erfahrungen, die ich in über zwanzig Jahren Unterrichtspraxis gesammelt habe.
Zum Schluss noch etwas ganz wichtiges. Du kannst deinen Klavierlehrer natürlich trotzdem bitten, gemeinsam mit ihm ein Wunsch- oder Lieblingsstück zu erarbeiten, ganz nebenbei, mit fundierter Anleitung und spielend leicht!
Es lohnt sich!
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